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Die Sichtbarkeit des Verbrechens. Die Tatortfotografie als Beweismittel um 1900

culture - discourse - history, Bd. 6

Christine Karallus
mit einem Vorwort von Mladen Dolar

ISBN 978-3-8325-4517-8
456 Seiten, Erscheinungsjahr: 2017
Preis: 49.80 €
Die Sichtbarkeit des Verbrechens. Die Tatortfotografie als Beweismittel um 1900
Rezension: "Die technische Entwicklung der Fotografie sowie das polizeiliche Handeln hinkten den Vorstellungen der Lehrbücher hinterher; einmal als kriminalistische Praxis und 'Augenscheinsobjekt' etabliert, hatte die Tatortfotografie allerdings weitreichende Folgen: Sie wurde zur Akteurin im Konflikt zwischen Judikative und Exekutive um die Deutungshoheit am Tatort. Sie drängte die Instanz des Untersuchungsrichters aus der Ermittlungsarbeit, die schließlich zur alleinigen Angelegenheit von Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft wurde: 'Das Recht unterlag dem Bildregime Tatortfotografie' (S. 365). Christine Karallus hat sich tief in das Denksystem des Juridischen und seine spröde Begrifflichkeit — mit der die Autorin souverän umgeht und der sie merklich einen gewissen Reiz abgewinnen kann — hineinbegeben, um diesen Prozess nachvollziehen und, durchaus spannend, vermitteln zu können... ." Susanne Holschbach; In Fotogeschichte; 147/2018, S. 70f

Inhalt: Mit einem Entscheid des Deutschen Reichsgerichts in Strafsachen vom 5. Januar 1903 werden Tatortfotografien als Beweismittel in der Hauptverhandlung zugelassen. Erstmalig in der Rechtsgeschichte wird damit einer apparativen Bildtechnik das Recht erteilt, im deutschen Rechtssystem als Träger und Instanz rechtlicher und kriminalistischer Kommunikation zu operieren. Zugriff und Repräsentanz beruhen fortan auf einer technisch armierten Justiz. Dass es in dieser Situation eines epistemologischen Umbruchs zu einer radikalen Veränderung in den Verfahrensweisen der Produktion und Rezeption von tradierten Formen des Beweisens kommt, liegt auf der Hand. Das Gleiche gilt für die Umgangsweisen in Bezug auf die Durchsetzung von Macht- und Erfassungshoheiten von Justiz und Kriminalpolizei bei der Tatortsicherung. Denn nun konnte das erkennende Gericht anhand der Tatortfotografien den Tatort in Augenschein nehmen und seine Entscheidungen, ob es eine Tatsache für bewiesen hielt, auf Fotografien stützen.

Diese Positionierung des technischen Bildes ist in der Geschichte der Strafprozessordnung einzigartig und bis heute in den Diskussionen um die Zeugenschaft, Objektivität und Unmittelbarkeit der technisch digitalen Bilder und den dabei auftretenden Gefahren innerhalb der Wahrheitsfindung tief verwurzelt.

Anhand der ersten Tatortfotografien in Berlin aus der Zeit von 1896 bis 1917 zeichnet die Autorin in interdiskursiver Perspektive die medialen, juristischen, kriminalistischen, semiologischen und ästhetischen Voraussetzungen und Bedingungen nach aufgrund derer die fotografische Konstruktion einer Straftat oder auch die Konstruktion eines Beweises über die Fotografie vor Gericht ermöglicht wurde. Sie unternimmt damit den Versuch einer Analyse des Zusammenhangs von Fotografie und ihren Evidenzeffekten und gibt uns so ein Narrativ an die Hand, das ins Zentrum einer speziellen Wende in der Moderne vorstößt: nämlich der Verzahnung eines Technologiewandels mit dem Wandel des Sehverhaltens und einem Wandel im Diskurs der Rechtsprechung, die gemeinsam ein hartnäckiges Muster erkennen lassen, das lange Schatten auf unser modernes Dasein wirft.

Inhaltsverzeichnis (PDF)

Keywords:

  • Bildtheorie
  • Kriminalpolizei
  • Beweismittel Augenschein
  • Tatort
  • Authentizität

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